Auf Wikipedia findet man einige Definitionen zu „Kaiseki“:
– Kaiseki (懐石) or kaiseki-ryōri (懐石料理) is a traditional multi-course Japanese dinner.
– Kaiseki (jap. 懐石) bezeichnet ein leichtes Mahl, das zur japanischen Teezeremonie serviert wird.
Warum die deutsche Definition so komplett danebenschießt weiß ich auch nicht, aber selbst „traditional multi-course dinner“ kann nicht ansatzweise befriedigend beschreiben, was für ein künstlerisches und kulinarisches Meisterwerk wir hier genießen durften.
Zunächst das Ambiente:


Begrüßt wurden wir von dem (übertrieben) freundlichen und zuvorkommenden Personal, welches uns schon erwartete, uns bat unsere Schuhe auszuziehen und uns zu unserem Tisch wies. Eine merkwürdige Angewohnheit eben jenes Personals war es, sich für alles zu entschuldigen. Du hast etwas nicht richtig verstanden? – Sorry. Sie möchte die Hauptspeise präsentieren? – Sorry. Sie serviert dir Tee? – Sorry. Ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber das gehört scheinbar zur Kultur.
Auf unserem Tisch waren selbstverständlich schon Appetithäppchen angerichtet. Zusammen mit der Menükarte war das schon mal ein Anblick, den es erst einmal in Ruhe zu bestaunen galt.

Auf unseren Tischen waren ebenfalls zugedeckte Töpfchen, unter denen etwas stand, das einem Teelicht ähnelte. Ich bezeichne das Konstrukt im Folgenden liebevoll als „Campingkocher“. Man zeigte uns die rohen Speisen im Topf und entzündete die Feuerquelle, die dann doch deutlich stärker brannte als ein Teelicht. Nach etwa 10 Minuten würde man zurückkehren und dann wäre es gar.
Doch zunächst die Appetithäppchen. Die genauere Zusammensetzung kann der geneigte Leser ja der Speisekarte entnehmen, also werde ich sie hier nicht wiederholen. Stattdessen will ich mich auf meine geschmacklichen Impressionen fokussieren.

Die Appetithäppchen waren kalte Vorspeisen. Das links war ein weicher Klotz in einer leicht fischigen (Dashi-) Brühe. Die kleinen Tupfer oben drauf verliehen dem eher unwürzigen Tofu die nötige Vielfalt. Der Korb rechts bestand ähnlich dazu aus kleinen leicht fischigen oder würzigen Gemüseteilchen und einem Shrimp. Jeder Streifen ein leicht anderes Aroma, eine leicht andere Konsistenz. Eine leichte Brühe hier, ein wenig Aroma da, konsistenz zart oder knackig. Nichts, wovon ich mich ausschließlich hätte ernähren können, aber einfach verschiedene Geschmäcker raffiniert kombiniert. Wie ich später bemerkte, ein wohlüberlegter Auftakt, der die folgenden Gerichte noch mehr zur Geltung bringen sollte.

Da wir mit dem Staunen nicht so schnell fertig waren, waren die 10 Minuten Garzeit für das Hauptgericht viel schneller herum als wir uns mit jeder Facette der Appetithäppchen auseinandersetzen konnte. Aber dieser Campingkocher (oder viel mehr ein präzises Vorgaren) hatte es tatsächlich geschafft, dass die Fasanenbrust und die Pilze perfekt zubereitet waren. Ich habe noch nie so geschmackvolle Pilze gegessen und das krustige Salz, das zum dippen gedacht war, war einfach perfekt zu beidem. Die Fasanenbrust war wie erwartet zart und keineswegs fettig.
Zeitlich gesehen waren noch ein wenig im Verzug mit dem Essen, aber wir holten auf. Die nächsten Gerichte waren einfach nur Highlights allesamt.

Das „Fasanen-Sashimi“ bestand tatsächlich aus „fischzarten“ Fasanenbruststreifen, die auf einem Bett aus nicht gänzlich durchgekochten Glasnudeln(?) drappiert waren. Der Kontrast zwischen knackigeren Nudeln und butterweichem Fleisch war perfekt. Selbst die Blume oben drauf konnte man mitessen und sie lieferte ein bitteres Aroma, was wiederum einen schönen Kontrast zum Folgenden bot.

Die Aubergine war ein Meisterwerk. Für mich sonst das „geschmackloseste & unnötigste“ Gemüse, das man irgendwo reinmischt, weil noch welches im Kühlschrank war, war hier in Perfektion zubereitet. Die Aubergine war wunderbar weich und völlig durchzogen von der süßen Miso Paste. Die Außenhaut war leicht knusprig und es war einfach ein Hochgenuss. Die Süße nach all den kalten / fischigen / däftigen Aromen war genial. Der Kloß aus Köstlichkeiten in der Brühe daneben war auch lecker, aber er verblasste in meiner Erinnerung einfach völlig gegen diese Aubergine.

Ein anderes Meisterwerk für sich war die Makrele. Zusammengefügt aus Dingen, die ich nie im Traum anrühren würde – wie rohen Tomaten – war hier ein Traum von guter Fischkost präsentiert. Die Makrele war intensiv in säuerlichem Aroma eingelegt, die keineswegs nach Essig geschmeckt hat, wie der Name „vinegared dish“ hätte vermuten lassen können. Das Gemüse und die fruchtigen Noten drum herum (orangene Masse und Grapefruit) harmonierten perfekt damit.

Wieder mit Hilfe eines Campingkochers gab es danach „Porridge“. Die Genialität hier lag für mich darin, dass man das kleine Becherchen mit Gewürzen daneben selbst mixen und mit dem Reis vermischen sollte. Dadurch entstand eine Inhomogenität, die ganz dem Gast selbst überlassen war (und zum ein oder anderen intensiven Wasabikontakt führte ^^) und die das Geschmackserlebnis weit über monoton matschigen Porridge hebte. Außerdem wurde der Reis vielleicht höchstens klebrig.

Dazu bestellten Hendrik und ich einen Sake Flight (3 Sake zum testen) und ich pickte mir natürlich zielsicher den teuersten als meinen persönlichen Favoriten heraus. „Daiginjo“ ist ein besonders aufwändig hergestellter Typ von Sake, der sich für mich durch seinen samtig weichem Geschmack auszeichnet. Davon bestellten wir noch eine Portion, die in diesem Wundergefäß (siehe Bild) serviert wurde. Der Sinn: Ein Eiswürfel liegt in der Mulde des Gefäßes und kühlt den Sake, aber ohne, dass das Eis das Getränk verwässern könnte. Für das Auskippen ist die Mulde so konstruiert, dass das Eiswasser keine Chance hat herauszurinnen. Später in Tokyo überlegten wir so ein Glas zu erwerben, aber die 7000 Yen (ca. 46€) schreckten uns dann doch ein wenig ab. Zumal ich in Kyoto bereits eine ganze Flasche Daiginjo Sake für 6600 Yen erworben hatte.

Zum Nachtisch gab es dann noch „Pudding“. Das war zumindest das Wort, mit dem die Bedienung uns die Crème Brûlée servierte. Sie enthielt scheinbar Fasanenbrühe. Ich bildete mir ein, dass man jedes Mal etwas Herzhaftes schmecken konnte, wenn der Löffel den Mund verließ, aber eigentlich war es einfach eine fantastische Crème Brûlée mit knackiger, karamellisierter Schicht.
So ließen wir den Abend noch gemütlich mit einem Bad ausklingen, bevor wir uns ins Bett begaben. Wir rätselten noch ein wenig, was es wohl zum Frühstück geben würde, aber dass wir gleich nochmal so hochwertig speisen würden, hatten wir nicht erwartet:

Diesmal mit detaillierterer Anleitung gab es beim Frühstück zwar nicht 9 Gerichte und es wurde alles auf einmal serviert, aber es hat uns kaum weniger umgehauen.

Auch hier wandelte man in einem Wald von Aromen. Zwischen hauchzart gegarter Makrele, gebratenem Lachs, würzigem Gemüse, intensiver Miso-Suppe, kräftigem Karottensaft, heißem Seidentofu (?) mit Dip-Sauce und einem herrlich süß-fruchtigen Mangopudding war es wirklich ein ebenso unvergessliches Frühstückserlebnis.

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf eine Bemerkung auf der Frühstückskarte hinweisen, die unserer Verwirrung bezüglich der morgendlichen Essgewohnheiten der Japaner endlich ein wenig Klärung verschaffen sollte:
„There are no rules in Japanese breakfast.“
Alles in allem vermutlich das beste kulinarische Erlebnis, in dessen Genuss ich je kam. Und dabei mochte ich vor meinem Japanaufenthalt eigentlich nicht einmal wirklich Fisch (außer panierten „unfischigen“ Fisch..). Von dem, was dieser Künstler hier präsentierte, hätte ich aber vermutlich alles gegessen.